Als der Frauenfußball laufen lernte: Die Schmetterlinge aus dem Dämmerstübchen - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 23.03.2022 um 10:00 Uhr
Als der Frauenfußball laufen lernte: Die Schmetterlinge aus dem Dämmerstübchen
MAGAZIN Was einst „Schicklichkeit und Anstand verletzte“ ist inzwischen mehr als nur salonfähig. Dass der Frauenfußball auch heute noch mit Vorurteilen zu kämpfen hat, ist ebenso unbestritten wie wenig nachvollziehbar. Als Gisela Leisgang 1970 jedoch die erste Frauenfußballmannschaft in Bamberg aus der Taufe hob, war dies nicht weniger als der Beginn einer Ära. Einer, von der die Initiatorin noch lebhaft zu berichten weiß…
Von Bernd Riemke

Mein Ex-Mann hatte das Dämmerstübchen in der Gereuth betrieben. Als ich eines Abends mit ein paar jungen Männern vor dem Lokal stand und wir auf das Thema Fußball kamen, durfte ich mir anhören, dass wir ja nicht einmal elf Frauen für eine Mannschaft zusammenbrächten“, erinnert sich Gisela Will, geborene Leisgang, noch lebhaft an jenen warmen Sommertag 1970, an dessen selben Abend sie den verdutzten Jungs elf Mädchen präsentierte, die zwar „von Tuten und Blasen keine Ahnung“ hatten, aber willig waren, mit der engagierten Vorsprecherin künftig gemeinsam in einem Team gegen das runde Leder zu treten.

Schmetterlinge beim 08

Aller Anfang war indes schwer, denn so motiviert die holde Weiblichkeit auch war, richtig ernst genommen hatte sie zunächst niemand. Aufgrund freundschaftlicher Bande war der Sportclub 08 im Volkspark auserkoren, die jungen Damen fußballerisch zu beherbergen. Um Sportgeräte und die passende Ausrüstung mussten sie sich jedoch selber kümmern. Mit lila T-Shirts, auf denen ein Schmetterling auf der Brust prangte, sowie schicken Röckchen, die man eher im Tennissport verortet hätte, trafen sich die fußballbegeisterten Mädchen ab Juni 1970 fortan regelmäßig mindestens einmal wöchentlich, um zunächst miteinander zu spielen und zu trainieren, denn Gegner gab es schlicht und ergreifend nicht.

Gisela Will, geborene Leisgang, war die treibende Kraft bei der Gründung der ersten Frauenfußballmannschaft in Bamberg und hielt ihre Truppe mit eiserner Disziplin zusammen.
privat

„Mordsbegeisterung und unheimliche Angriffslust“

Gisela Leisgang ließ jedoch nicht locker, führte ihre „Dämmerelf“ mit strenger Disziplin und überzeugte schließlich sogar den Trainer der 1. Herrenmannschaft im Verein, parallel dazu auch die Damen zu betreuen. „Außer einer Mordsbegeisterung brachten die wenigsten etwas mit, was einen fertigen Fußballer auszeichnet“, wird Gerhard Limmer in der örtlichen Presse seinerzeit zitiert. Jene Begeisterung hielt indes allen Unkenrufen zum Trotz stand und so wurde am 12. Juli 1970 die erste Partie der Frauen des SC 08 Bamberg beim ASV Gaustadt angepfiffen. Dass diese mit 1:3 verloren ging, tat dem Enthusiasmus keinen Abbruch. „Die Kondition war gut, die Technik zufriedenstellend, die Angriffslust unheimlich“, war tags darauf in der Zeitung zu lesen und so kam der Frauenfußball in Bamberg allmählich ins Rollen.

Ecke ist, wenn der Schiri pfeift...

Im Oktober 1970 weichte der Deutsche Fußball Bund zudem seine veralteten Strukturen auf und gestattete den Frauen fortan einen geregelten Spiel- und Ligabetrieb. Zu diesem mussten die Damen freilich einen Gesundheitspass vorlegen, der ihnen attestierte, dass gegen die Ausübung des Fußballsports keinerlei Bedenken bestehen. Gespielt wurde außerdem mit einem leichteren Ball und der Sportartikelhersteller Puma konzipierte gar einen eigenen Frauenfußballschuh mit flexibler Sohle, der „für Damenfüße prädestiniert“ war. Die Regeln gestatteten es den Akteurinnen „empfindliche Körperteile mit der Hand zu schützen“. Obwohl „wir nicht einmal wussten, wann es eine Ecke gibt oder was ein Linksaußen ist“, wie sich Wally List, kampffreudige Protagonistin der ersten Stunde schmunzelnd erinnert, ging auch der SC 08 Bamberg noch im gleichen Jahr in seine erste Saison in der damals frisch eingeführten Kreisliga.

Feuchtfröhliche Vorbereitung und unzählige Siege

Diese sollte zu einem einzigen Triumphzug der Dämmerelf werden. „Schon nach einem Gegentor musste ich die Mädchen beruhigen, damit sie nicht ausflippen“, erinnert sich Gisela Will an den wahren Siegeszug, mit dem der SC 08 durch die Kreisliga spazierte und sich mit elf Siegen, einem Unentschieden und überragenden 48:3 Toren den Titel sicherte. Abseits der Pflichtspiele nahmen die erfolgsverwöhnten „Schmetterlinge“ weite Fahrten auf sich, um ihrem gemeinsamen Hobby zu frönen. Bei Gastspielen im Odenwald, in Bernau am Chiemsee oder beim internationalen Damenturnier in Bad Neuenahr/Ahrweiler im Mai 1972 stand vor der sportlichen Pflicht immer auch die Geselligkeit im Vordergrund. „Schon während der Anreise im Omnibus hatten wir die größte Gaudi“, schildert Wally List. Dass diese Anreise zumeist am Vortag des Spiels stattfand, hatte einen logischen Grund: „Wir mussten schließlich erstmal feiern!

Zun den Auswärtsfahren im gesamten süddeutschen Raum wurde nicht selten eigens ein Omnibus angemietet, um die 08er-Mädels zu chauffieren.
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Ida, Boppel & Co

Von den über einhundert Spielen, die die 08-Frauen im Zeitraum ihres knapp fünfjährigen Bestehens absolvierten, waren die Niederlagen an einer Hand abzuzählen. Garantin dafür war nicht selten Maria Rummelsberger, die im Angriff in Gerd-Müller-Manier unzählige Treffer erzielte. Dass hinten die Null stand, war der legendären Ida Schröder zu verdanken, die sich über viele Jahre hinweg ehrenamtlich im Verein engagierte. „Sie war unser ruhender Pol, die sich mit enorm viel Fleiß bewährt und immer alles für die Mannschaft gegeben hat“, schätzen Gisela Will und Wally List noch heute die Verdienste der stattlichen Torfrau. Als Vorlagengeberin diente nicht selten Helga Hahn, die auf der Außenbahn schneller als der Ball unterwegs war und wenn es doch mal nicht ganz rund lief, dann rüttelte Katharina Mempa ihre Mitspielerinnen wach. Dass „Boppel“ sich dabei hin und wieder auch mit dem Unparteiischen anlegte, blieb nicht aus, doch mit den „Brotzeitschiris“ söhnte auch sie sich nach dem Schlusspfiff bei selbiger schnell wieder aus.

Gisela Will es – Gisela schafft es

Auf dem Rasen sorgten die Spielerinnen für Furore, abseits des Rasens hielt Gisela Will von Beginn an straff die Zügel in der Hand. „Sie hat sich aufopferungsvoll um uns gekümmert“, sagt Wally List angesichts der Tatsache, dass die Ziehmutter der 08er-Mädels nicht nur sämtliche Spielleitungs-Aufgaben übernahm, sondern die jungen Mädchen aus dem ganzen Landkreis zum Training abholte und nach schweißtreibenden Einheiten wieder zurück ins Elternhaus brachte. Nicht zuletzt deshalb fand beinahe jedes Training auch in voller Mannschaftsstärke statt, denn „wer nicht trainierte, brauchte zum Spiel erst gar nicht kommen“, gibt Gisela Will heute noch im Brustton der Überzeugung zu Protokoll. Das stärkte den Zusammenhalt und führte sogar dazu, dass eine Spielerin ihrer Spielleiterin die eigene Schwangerschaft verschwieg, nur um am nächsten Wochenende wieder mit ihrem Team auf dem Platz stehen zu dürfen.

"Feiern konnten die Mädchen", erinnert sich Gisela Will noch heute an zahlreiche gesellige Abende, wie auf diesem Bild auf dem Geisfelder Keller.
privat

Knapp vierzig junge Mädchen und Damen spielten zwischen 1970 und 1975 für den SC 08 Bamberg und vor allem für Gisela Will. „Dann kam meine Scheidung, ich bin aus Bamberg weggezogen und habe einige Zeit in Persien verbracht“, erzählt die rüstige Rentnerin heute. Gisela Will war bemüht, eine adäquate Nachfolgerin zu finden, doch das tat sie vergeblich. So endete im Sommer 1975 nach knapp fünf Jahren eine Ära, die fußballerisch als überaus erfolgreich in Erinnerung bleibt, insbesondere aber aufgrund der unvergleichlichen Kameradschaft bis in die heutige Zeit nachhallt. Die Frauen des SC 08 Bamberg waren DIE Vorreiterinnen des Frauenfußballs in Bamberg, was umso mehr Respekt und Anerkennung verdient, da sie es in einer Zeit waren, in der sie die größten Widerstände abseits des Spielfeldes und nach Beendigung der 90 Minuten brechen mussten. Sie taten es mit Freude am Spiel und verdienten sich so über die erfolgreichen Jahre hinweg den Respekt der zunehmend erstaunteren Fußball-Männerwelt, der erst allmählich dämmerte, welche gesellschaftliche Bereicherung vor gut fünfzig Jahren ihren vielversprechenden Anfang nahm.

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Leser-Kommentare

Steckbrief G. Will

Gisela Will
Alter
80
Wohnort
Geisfeld
Nation
Deutschland


Frauenfußball

Als es in den 1950er Jahren zu ersten Gründungen von Frauenmannschaften kam, schob der DFB dieser Entwicklung rasch einen Riegel vor. „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand“, hieß es in der Begründung des Verbandes.

Heute gehören Mädchen- und Frauenteams längst zum fußballerischen Alltag. Von den fast 7,2 Mio. Mitgliedern des DFB ist rund jede sechste weiblich. Alleine in Bayern treten an den Wochenenden knapp 230000 Fußballerinnen in rund 1600 Teams regelmäßig gegen den Ball.

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