Sportrecht-Anwalt Felix Steinbach: "Der Abbruch jetzt war ein volles Eigentor!" - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 21.05.2021 um 11:00 Uhr
Sportrecht-Anwalt Felix Steinbach: "Der Abbruch jetzt war ein volles Eigentor!"
Um den Abbruch der Saison 2019/21 und den mittlerweile berühmtesten Paragrafen der Spielordnung des BFV wurde viel diskutiert. Am Dienstag wurde die Saison per Vorstandsbeschluss abgebrochen. Felix Steinbach ist Rechtsanwalt für Sportrecht und auch Vorsitzender des Fachprüfungsausschuss „Sportrecht“ der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg. Im Interview ordnet er die Sachlage kritisch ein.
Von Marco Galuska
Felix Steinbach
privat
Der Bayerische Fußball-Verband hat am Dienstag die Saison 2019/21 abgebrochen. Hat Sie die Entscheidung überrascht?

Felix Steinbach:
Ja, und nein. Die Entscheidung an sich war in meinen Augen lange überfällig. Über das Thema wurde in der Vergangenheit bereits sehr viel diskutiert. Der BFV hatte aber immer gesagt, er möchte so viele Spiele wie möglich noch durchführen. Dafür wurde im Dezember 2020 sogar die Möglichkeit durch die Änderung von § 59 SpO geschaffen, so dass theoretisch alle zwei Tage gespielt werden kann. Deswegen überrascht mich die Entscheidung vom Dienstag nun doch ziemlich. Zumindest der Zeitpunkt der Entscheidung ist mehr als erstaunlich.

Noch wenige Stunden vor der Verkündung des BFV-Vorstandsbeschluss hatte das Bayerische Kabinett und Freigaben für den Sport samt Zuschauer ab 21. Mai verkündet. Kam der Abbruch daher zum falschen Zeitpunkt?

Steinbach:
Ja, der Zeitpunkt des Abbruchs ist eben für mich nicht nachvollziehbar. Und in meinen Augen für den BFV nun ein juristisches Risiko, welches man sich ohne jede Not selbst geschaffen hat. Im anzuwendenden § 93 SpO heißt es doch zusammenfasst, wenn ein Spieljahr nicht bis zum 30.06.2021 beendet werden kann, dann wird entsprechend § 93 SpO gewertet. Wörtlich zitieren darf ich hier Folgendes: „Reicht die Anzahl der Wochenendspieltage aufgrund einer Unterbrechung des Spieljahres durch behördliche Auflagen nicht mehr aus, so sind zusätzliche Spiele während der Woche auszutragen (§ 59 Nr. 5 gilt entsprechend).“ Ich bin daher eher davon ausgegangen, dass der BFV nun entsprechend seiner selbstgeschaffenen Neuregelungen noch versucht, im Juni so viele Spiele wie möglich durchzuführen. Dass dies in meinen Augen unsinnig gewesen wäre, steht dabei auf einem anderen Blatt. Aber der Abbruch jetzt, entgegen dem bisherigen Fahrplan, gerade in der Woche in der Lockerungen bekannt gegeben wurden, hat mich doch schwer überrascht.

Fairerweise muss man aber sagen, dass die positive Entwicklung im Infektionsgeschehen vor ein paar Wochen so noch nicht abzusehen war…

Steinbach:
Natürlich nicht. Daher hätte ich einen Abbruch zu einem früheren Zeitpunkt auch für absolut sinnvoll und nachvollziehbar erachtet. Letztendlich war es aber ja der BFV selbst, der unbedingt noch bis Ende Juni so viele Spiele wie möglich machen wollte. Daher eben nun auch meine Überraschung. Ich erinnere mich hier an die Aussage von BFV-Vize Reinhold Baier noch Mitte April und zitiere aus dem Artikel der Verbandshomepage: „Wir müssen die Sicht der betroffenen Vereine akzeptieren und wollen diese auch nicht mit dem bloßen Hinweis auf die bestehenden Bestimmungen abweisen, wenngleich es unsere Aufgabe ist, möglichst allen Vereinen – also auch denjenigen, die sich auf die geltenden Regeln verlassen haben – gerecht zu werden. In der Konsequenz bleibt es dabei, dass wir davon ausgehen, dass es das wachsende Infektionsgeschehen nicht mehr erlauben wird, unter Berücksichtigung einer bayernweit einheitlichen und angemessenen Vorbereitungsphase auch nur einzelne Spiele in den Ligen noch anzusetzen. Gänzlich ausschließen lässt sich das aufgrund der nur bis zum 9. Mai gültigen Verordnung des Freistaats am heutigen Tage aber nicht“. Daher hat mich der Abbruch-Beschluss des BFV-Vorstandes in dieser Woche wirklich überrascht.

Bei all den Überlegungen über eine Saisonfortsetzung oder einem Abbruch wurden ja stets die rechtlichen Aspekte angeführt. Der BFV stellte uns gegenüber im März auch fest, dass es einen vorzeitigen Abbruch nicht geben könnte, weil der Verband ja gerade verpflichtet ist, einen Spielbetrieb anzubieten und zu organisieren, sofern keine staatlichen Vorgaben oder Verbote dem entgegenstehen. Sind diese nicht mehr gegeben?

Steinbach:
Naja, die rechtlichen Aspekte, die zu Problemen werden können, hat sich der BFV in meinen Augen nun komplett selbst geschaffen. Der Abbruch ist in meinen Augen zu spät erfolgt - und nun durch die eigens geschaffenen Regeln wiederum verfrüht. Es ist der juristisch denkbar schlechteste Zeitpunkt für den Abbruch!
Nochmals: § 93 SpO sieht vor, dass abgebrochen wird, wenn die Saison nicht bis zum 30.06.2021 zu Ende gespielt werden kann und sieht dabei explizit vor, dass auch Spiele unter der Woche statt finden sollen. Der BFV hat dabei auch immer selbst betont, dass jedes gespielte Spiel am Ende die Tabelle nach Quotienten fairer macht. Durch die - aus Vereinssicht - unsägliche Änderung von § 59 Nr. 5 SpO  hat der BFV zudem die völlig absurde Möglichkeit geschaffen, dass theoretisch sogar alle zwei Tage gespielt werden könnte. Selbst mit einer Vorbereitungszeit von drei Wochen, könnten daher in weiten Teilen Bayerns ab Mitte Juni bis zum 30.06.2021 daher mindestens vier Spiele noch spielen lassen. Wenn man es insgesamt auf die Spitze treiben will, wären - zumindest rechtlich - nach Pfingsten noch bis zu zehn Spiele "problemlos" möglich. Ich möchte dabei betonen, dass dies in meinen Augen noch größerer Quatsch und regelrecht verantwortungslos wäre. Aber das sind nun mal die Regelungen, die der BFV durch seinen Willen, die Saison auf Biegen und Brechen durchzuziehen, selbst geschaffen hat. Das könnte sich nun als volles Eigentor herausstellen.

Aber es kann doch auch mit dem neuesten Öffnungsschritt aktuell noch nicht flächendeckend trainiert werden..

Steinbach:
Das stimmt. Der § 93 SpO sieht aber sogar auch einen nur regionalen Abbruch vor. Das Ergebnis kann daher sein, in einigen Kreisen/Ligen wird abgebrochen, in anderen wird, zumindest weitgehend, zu Ende gespielt.  

Also hat sich der Verband durch die Änderungen in der Spielordnung den Abbruch selbst schwer gemacht? Oder erscheint der Beschluss sogar anfechtbar?

Steinbach:
Ja, absolut. Wie gesagt: ein volles Eigentor in meinen Augen! Man könnte auch sagen, dass man jetzt kurz vor dem Ende nicht den eigenen Weg konsequent fortgesetzt hat. Der bisherige Weg des BFV war, es wird soviel und solange gespielt wie möglich ist. Das ist dann der 30.06.2021. Und spätestens nach der geänderten Lage seit dieser Woche ist Training und Spiel in weiten Teilen Bayerns möglich, zunehmend dann sogar ohne die Einschränkung von Tests. Ich halte den Beschluss nun tatsächlich für nicht nachvollziehbar und damit möglicherweise für angreifbar. Ich will damit auch keine Stimmung machen, aber die Begründung für den Beschluss zum jetzigen Zeitpunkt nach § 93 SpO liegt in meinen Augen nicht vor, ist zumindest nicht nachvollziehbar. Für den BFV sehe ich daher durchaus hausgemachte, juristische Probleme, die nicht hätten sein müssen, wäre man der eigenen Linie treu geblieben - oder hätte man eben bereits früher abgebrochen. § 93 SpO gibt einen Abbruch aus meinen Augen jetzt aber nicht her. Zumindest nicht für ganz Bayern. Auch wenn das Ergebnis ja noch irrsinniger ist!

Dennoch: Die Saison wurde doch am Dienstag faktisch abgebrochen. Damit sollte das Kapitel - trotz mancher Bauchschmerzen - doch erledigt sein, endlich mag man sagen, oder etwa doch noch nicht?

Steinbach:
Ja, das stimmt. Und grundsätzlich kann man ja auch froh sein, dass nun vermeintlich klare Verhältnisse herrschen. Die Planungssicherheit hatten sich viele Vereine schon lange gewünscht. Aber der Beschluss des BFV vom Dienstag könnte nun eben tatsächlich anfechtbar sein. Wenn es ein Verein darauf anlegt, könnte nach der RVO des BFV binnen einer Woche Beschwerde gegen den Vorstandsbeschluss eingelegt werden. Die Frist läuft damit am 25.05. ab. Ob so kurzfristig etwas passiert, ist fraglich, aber das Thema wird sicherlich noch für Unruhe sorgen.

Erwarten Sie tatsächlich, dass Vereine dagegen vorgehen werden?

Steinbach:
Ich kann es mir nicht vorstellen, aber denkbar ist es. Und bei einigen Vereinen sicherlich nachvollziehbar. Gerade wegen der Aufstiegs-/Abstiegsregelung nach § 93 SpO, die nun abgestimmt wurde. Wenn ein Verein nun in den kommenden zwei, drei Spielen gegen vermeintlich schwächere Gegner spielt und sich bei einem Sieg der Quotient ändern würde, kann der Zeitpunkt des Abbruchs, ohne Chance nochmals zu spielen, nun über Aufstieg- und Abstieg entscheiden. Ich habe in den letzten Tagen schon mitbekommen, wie viele Spieler, Trainer und Funktionäre enttäuscht gewesen sind über das Ergebnis bezüglich Aufstiegs-/Abstiegsregelung. Gerade durch die nun getroffenen Regelungen, kann es dabei eben auf jedes Spiel ankommen.

Sehr viel Recht und Verfahren – eigentlich nicht das, was den Sport ausmachen sollte und sicher die überwiegende Mehrheit ermüdet. Abschließend bitte daher auch noch eine Einschätzung als Fußballer zur aktuellen Lage. Wäre das überhaupt sinnvoll noch einmal die Saison anlaufen zu lassen?

Steinbach:
Ja, das ist alles sehr unschön! Aber man darf nicht vergessen: für viele hängt bei der Ligazugehörigkeit selbst in den untersten Ligen einfach viel Herzblut. Und das viele Recht und Verfahren hätte nicht so weit kommen müssen. Ein frühzeitiger Abbruch wäre eine klarere Sache gewesen. Ein großzügiger Aufstieg und kein Abstieg hätte auch dazu geführt, dass sich wahrscheinlich niemand über seine Ligazugehörigkeit in der kommenden Saison beschwert hätte und daher auch niemand einen Grund zur Klage gehabt hätte.
Als Fußballer ist das für mich alles immer absurder geworden. Erst eine Regelung, mit der man als Amateur plötzlich alle zwei Tage spielen soll, einführen und jetzt von dieser Regelung doch keinen Gebrauch machen? Ein fairer Wettbewerb war doch nach der ersten Pause letztes Jahr schon nicht mehr gewährleistet. Dass jetzt nicht mehr gespielt wird, ist daher in meinen Augen sehr zu begrüßen und die absolut richtige Entscheidung. Nur kann dem BFV durch seinen eigenen Kurswechsel hier nun doch noch etwas auf die Füße fallen.

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