Offener Brief des BFV: Unverhältnismäßigkeiten und Regel-Wirrwarr - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 19.05.2021 um 17:30 Uhr
Offener Brief des BFV: Unverhältnismäßigkeiten und Regel-Wirrwarr
In einem offenen Brief hat sich der Bayerische Fußballverband an die Bayerische Politik gewendet und auf die Probleme der Vereine hingewiesen: Unverhältnismäßigkeiten, Regel-Wirrwarr und unterschiedliche Auslegung von Gesetzen und Verordnungen: Der Frust in den Fußball-Vereinen ist riesig – und er wächst täglich.
Von Sebastian Baumann
fussballn.de / Kögel
Die jüngsten Entscheidungen der Bayerischen Staatsregierung werden den Interessen der Amateurfußballer*innen im Freistaat in keiner Weise gerecht und konterkarieren das ehrenamtliche Engagement. Dabei ist die Rückkehr des bayerischen Amateurfußballs längst überfällig!

Der Vorstand des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV) hat einen Offenen Brief verfasst und an Ministerpräsident Dr. Markus Söder, Innen- und Sportminister Joachim Herrmann sowie Gesundheitsminister Klaus Holetschek adressiert.

Der Offene Brief im Wortlaut

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Söder,
sehr geehrter Herr Staatsminister Herrmann,
sehr geehrter Herr Staatsminister Holetschek,

unsere 1,6 Millionen Mitglieder aus nahezu 4600 bayerischen, ehrenamtlich organisierten Amateurfußballvereinen stellen sich seit Anbeginn der COVID-19-Pandemie auf vielfältige und herausragende Art in den Dienst der Bekämpfung dieser so nicht gekannten Krise. Sie, die Vereinsführungen mit Mädchen und Jungen, Frauen und Männern, sind abseits der nach wie vor weitgehend gesperrten Fußballplätze für Schwächere da und zeigen eindrucksvoll, was es heißt, Eigeninteressen hinten anzustellen und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen – und dies seit über einem Jahr!

Der Bayerische Fußball-Verband ist vom ersten Tag an ein verlässlicher Partner der Politik der Bayerischen Staatsregierung. Wir waren und sind immer für einen konstruktiven und lösungsorientierten Austausch im Sinne unserer Mitglieder. Die Gesundheit aller, auch das haben wir wieder und wieder verdeutlicht, steht an erster Stelle – ohne Wenn und Aber. Die erarbeiteten Hygiene- sowie Kontaktnachverfolgungs-Konzepte sind längst in der Praxis erprobt und in unseren Vereinen etabliert. Die quasi durchgängig geführten Gespräche auf Arbeitsebene mit dem für uns zuständigen Ministerium des Innern, für Sport und Integration belegen dies. Wir sind nun allerdings an einem Punkt angelangt, der ein Ringen um Lösungen für die längst überfällige Rückkehr des bayerischen Amateurfußballs abseits der Öffentlichkeit unmöglich macht. Die jüngsten Entscheidungen der Staatsregierung werden den Interessen unserer Mitglieder in keiner Weise gerecht, ja, sie konterkarieren das ehrenamtliche Engagement förmlich und frustrieren diese so wichtige Säule für unser Gemeinwohl in Bayern.

Bei einer Inzidenz über 100 darf nach dem aktuell gültigen Bundesgesetz maximal zu zweit oder mit Angehörigen des eigenen Hausstands trainiert werden, Kinder unter 14 Jahren in Gruppen bis zu 5 Kindern. Bei einer Inzidenz zwischen 50 und 100 dürfen maximal 5 Personen aus 2 Haushalten trainieren, sowie Kinder unter 14 Jahren in Gruppen bis zu 20 Kindern. Echtes Mannschaftstraining ist unter diesen Vorgaben unmöglich.

Und während selbst bei einer Inzidenz von 0 nur maximal 20 Kinder unter 14 Jahren bzw. 10 Erwachsene trainieren dürfen, wird von diesem Freitag an gestattet, dass 250 Zuschauer Sportveranstaltungen besuchen dürfen. Können jetzt also 250 Zuschauer bei einem Training von 10 Spieler*innen zusehen? Wie passt das zusammen? Bei der Grenze der 250 Zuschauer wird sich im Sport an die Kultur angelehnt. Wir freuen uns über Öffnungen eines jeden Bereichs, aber dennoch darf die Kultur völlig zurecht für ihren Auftritt üben, der Sport aber nicht uneingeschränkt trainieren. Alle anerkannten Mediziner*innen, Forscher*innen und Virolog*innen sind sich einig und belegen in ihren Studien, dass Sport unter freiem Himmel nicht im Ansatz ein erhöhtes Infektionsrisiko darstellt – ein weiteres Sportverbot aber zu weitreichenden gesundheitlichen Schäden, sowohl körperlicher als auch seelischer Natur, führen kann.

Wenn Amateurfußballer*innen in diesen Tagen die zunächst geltenden hohen gesetzlichen Hürden auf sich nehmen und sich auf COVID-19 testen lassen, um mit der Mannschaft trainieren zu können und damit auch einen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie beitragen, dies dann aber plötzlich wieder untersagt wird, sagt alles. Die Abstimmung zwischen den Ministerien funktioniert scheinbar nicht: Dazu kommt eine völlig unterschiedliche, in unseren Augen teils nicht mehr nachvollziehbare Auslegung der Gesetze und Verordnungen durch die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden und kreisfreien Städte. Der Frust bei den engagierten Menschen im Sport und im Amateurfußball erlangt dieser Tage eine neue Dimension – für jede einzelne Beschwerde, von denen uns täglich mehr erreichen, haben wir volles Verständnis. Anstatt klare, praxisnahe Regeln zu erlassen, die für jedermann verständlich sind und weniger unterschiedlichen Interpretationen unterliegen, erleben wir fast täglich ein neues Wirrwarr, das sich rational nicht mehr erklären lässt.

Ein von Vereinen nach allgemeinen Regeln durchgeführtes Bewegungsangebot für Kinder und Jugendliche ist allemal pandemisch sinnvoller als das ohne Betreuung durchgeführte Sporttreiben, wie wir es alle auf Bolzplätzen oder freien Anlagen sehen.
Die bayerischen Fußballvereine stehen für den Gesundheitsschutz ihrer Spieler*innen, Mitglieder und Besucher*innen ein. Sie akzeptieren notwendige Einschränkungen, Abstandsregeln, Hygienekonzepte, staatliche Regelungen der Kontakt-Nachverfolgung.
Aber der Kernbereich ihres Wirkens, das Training und Spielen an der freien Luft, müssen nun umgehend wieder ermöglicht werden. Sie stellen nahezu kein Infektionsrisiko dar – unabhängig vom Alter. Deshalb braucht es jetzt sofort einen Fahrplan für praktikable Trainingsgestaltung, dann aber kurzfristig auch wieder für Spiele.

Der Vorstand des Bayerischen Fußball-Verbandes fordert Sie daher im Sinne seiner 1,6 Millionen Mitglieder auf, folgende Punkte nun endlich anzugehen:
Klare, angemessene und nachvollziehbare Regelungen zu schaffen, die auch losgelöst von der Inzidenz und mit längerem zeitlichen Vorlauf vor der Rücknahme von Maßnahmen eine verlässliche Perspektive bieten.

z.B. bei einer lokalen 7-Tage-Inzidenz unter 100: Sofortige Freigabe des Mannschaftstrainings mit Kontakt unter freiem Himmel ohne Alters- und Gruppengrößen-Beschränkung unter Berücksichtigung eines Hygienekonzepts für Personen, die sich mindestens zweimal in der Woche einem COVID-19-Test unterziehen; dabei gelten explizit auch Tests, die in der KiTa, Schule oder beim Arbeitgeber durchgeführt werden. Diese Tests müssen im gemeinnützigen Sport anerkannt werden. Es ist nicht zu erklären, warum Kinder, die vormittags in der Schule getestet werden, nachmittags beim Training im Sportverein einen erneuten Test machen müssen.

z.B. bei einer lokalen 7-Tage-Inzidenz unter 50: Sofortige Freigabe des Mannschaftstrainings mit Kontakt unter freiem Himmel ohne Alters- und Gruppengrößen-Beschränkung unter Berücksichtigung eines Hygienekonzepts (u.a. Kontaktnachverfolgung, sanitäre Anlagen geschlossen).
z.B. Wenn eine Altersgrenze sein muss, dann soll diese an der Schnittstelle zwischen Jugend- und Erwachsenensportbetrieb verlaufen, nicht quer durch Vereinsmannschaften (im Schulbereich stellt man ja auch auf funktionale Gruppen nach Zusammengehörigkeit ab und nicht auf eine Altersgrenze).

Die Öffnung für Zuschauer*innen ist richtig und wichtig – 250 Personen bei zugewiesenen Plätzen möglicherweise angemessen; aber darüber hinaus braucht es eine Bagatellgrenze an Publikum, bei der dies auch ohne besonderes Konzept, evtl. mit Masken, möglich sein muss. Viele Kinderangebote funktionieren nur dann, wenn die Eltern die Kinder fahren und begleiten – gerade jetzt wollen wir nicht viele Personen in einem Auto haben. Und ein Fußballplatz ist groß genug, um dort 100 Personen mit ausreichend Abstand unterzubringen. Wir fordern also die Möglichkeit, ohne besonderes Konzept 100 Zuschauer bei Sportveranstaltungen im Freien zuzulassen (evtl. mit Maske und Kontaktverfolgung).

Es braucht eine für Sportvereine funktionierende, kostenfreie technische Lösung zum Veranstaltungsmanagement und zur Kontaktverfolgung, die Tests ebenso wie den Impfstatus abbilden kann. 

Wir bieten nach wie vor und zum wiederholten Male unsere ausdrückliche Mitarbeit für die Erarbeitung praktikabler und vernünftiger Regeln und Konzepte für den Amateurfußball an. Dies muss allerdings JETZT geschehen!


Mit freundlichen Grüßen

Dr. Rainer Koch (Präsident)
Reinhold Baier (Vizepräsident)
Jürgen Faltenbacher (Schatzmeister)
Jürgen Pfau (Vizepräsident & Bezirksvorsitzender Unterfranken)
Silke Raml (Vizepräsidentin)
Robert Schraudner (Vizepräsident & Bezirksvorsitzender Oberbayern)
Tobias Bracht (U30-Mitglied)
Thomas Graml (Bezirksvorsitzender Oberpfalz)
Harald Haase (Bezirksvorsitzender Niederbayern)
Dieter Habermann (Bezirksvorsitzender Mittelfranken)
Sandra Hofmann (Vorsitzende Verbands-Frauen- und -Mädchenausschuss)
Jürgen Igelspacher (Geschäftsführer)
Josef Janker (Vorsitzender  Verbands-Spielausschuss)
Dr. Christoph Kern (Bezirksvorsitzender Schwaben)
Walter Moritz (Vorsitzender Verbands-Schiedsrichter-Ausschuss)
Friedrich Reisinger (Verbandsanwalt)
Oskar Riedmeyer (Vorsitzender  Verbands-Sportgericht)
Thomas Unger (Bezirksvorsitzender Oberfranken)
Florian Weißmann (Vorsitzender Verbands-Jugendausschuss)

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