Kein Montag ohne Spielebörse: Wie eine riesengroße Whatsapp-Gruppe - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 16.11.2020 um 11:00 Uhr
Kein Montag ohne Spielebörse: Wie eine riesengroße Whatsapp-Gruppe
Von den Nachkriegsjahren bis zur Jahrtausendwende war die Spielebörse im Karl-Bröger-Keller in Nürnberg praktisch an jedem Montag der Treffpunkt für den Spielbetrieb im Fußballkreis Nürnberg/Fürth. Funktionäre von Verband und Vereinen trafen sich zum direkten Austausch und Planung im Amateurfußball, ehe die Digitalisierung und das Internet-Zeitalter die Weichen komplett neu stellten.
Von Marco Galuska
Die Spielebörse im Karl-Bröger-Keller in Nürnberg in den 1970er-Jahren.
privat
Ein elektronisches Vereinspostfach war noch zum Ende des vergangenen Jahrhunderts ein kaum denkbares Instrument zur Kommunikation zwischen den Vereinen. Die Arbeit mit dem Computer war vom Berufsleben in aller Regel ebenfalls noch nicht in das Vereinswesen übergeschwappt, mit dem Internet waren nur wenige Pioniere betraut. Um die Belange des eigenen Fußballvereins mit dem Verband zu regeln, hatte man in Nürnberg dafür bereits seit der Nachkriegszeit eine Spielebörse ins Leben gerufen. Dort wurden von Angesicht zu Angesicht Freundschaftsspiele vereinbart, Spielberichtsbögen abgegeben, die fehlenden Ergebnisse in Erfahrung gebracht und über den Spielbetrieb diskutiert.

Ab 1965 immer montags im Karl-Bröger-Keller

"Für unsere Spielebörse wurden wir in ganz Bayern bewundert", erinnert sich der langjährige Kreisschiedsrichterobmann Hans Rößlein, der ab 1986 selbst Woche für Woche am späten Montagnachmittag "in die Börse" gegangen war. Denn nur im Altkreis Nürnberg/Fürth hatten die Väter des Spielbetriebs einen wöchentlichen Treffpunkt geschaffen, um die Organisation mit Schiedsrichtern und Vereinen zu regeln. In den frühen Nachkriegsjahren nutzten die Spielleiter dafür Gaststätten in der Schweigger-, Bärenschanz- und Saldorferstraße. Im "Goldenen Kleeblatt" in der Zirkelschmiedsgasse hatte die Spielebörse gut ein Jahrzehnt lang ihre Heimat gefunden. Zur Institution wurde "die Börse" schließlich ab dem Jahr 1965 im Keller des Karl-Bröger-Hauses, wo auch die "Fränkische Tagespost", die bis zu ihrem Ende 1971 ausführlich über den Amateurfußball berichtete, beheimatet war.

Oberkellnerin Paula Schreiber war ein Nürnberger Original und untrennbar mit der Institution Spielebörse im Keller des Karl-Bröger-Hauses verbunden.
privat

Immer montags von 16 bis 18 Uhr fand die Börse bis auf ganz wenige freie Wochen im Jahr statt. Die Vereine hatten in der Regel ihre festen "Börsen-Gänger" geschickt, die teilweise mehrere Jahrzehnte lang wöchentlich im Karl-Bröger-Keller die Interessen ihrer Mannschaften vertraten. "Die Leute sind dafür extra am Montag früher von der Arbeit weg, um die Börse zu besuchen. Das war fest eingeplant, der Keller war über viele Jahre immer gesteckt voll", erinnert sich der langjährige NZ-Redakteur Hermann Hempel, der beispielsweise die am Montag gesammelten Ergebnisse aus dem Jugendfußball vom vorherigen Wochenende dann bis zum Donnerstag in der sehnlichst erwarteten "Jugend-Ecke" veröffentlichen konnte.

In der Börse wurden nicht nur die Spiele vom vorherigen Wochenende abgehandelt, sondern auch alle Absprachen getroffen: Spielplanbesetzung, Mannschaftseinteilung, Platzabsprache, Terminierung, Suche von Gegnern für Freundschaftsspiele bei Senioren und Junioren - alles direkt vor Ort, keine Suchmaske am PC, keine E-Mail oder Whatsapp-Nachricht. Man kannte sich in der Börse, wusste genau, wer zu welchem Verein gehörte. Aber vor allem auch die BFV-Spielleiter und Schiedsrichter-Funktionäre aus dem Kreis Nürnberg/Fürth waren da.

Hans Rößlein
BFV Mittelfranken
"Die Börse war eine feste Institution. Viele haben sich jede Woche darauf gefreut, weil es ein Miteinander im positiven Sinne war. Einige sind nicht nur zum Austausch mit den Vereinen und Verband gekommen, sondern dann auch gleich noch zu einer Kartelrunde geblieben, bis dann die legendäre Oberkellnerin Paula Schreiber, ein echtes Nürnberger Original, den Zapfenstreich ausgerufen hatte", erinnert sich Rößlein.

Für den Nürnberger Schiri-Boss waren die Börsen-Gänge nicht unbedingt so entspannt, auch wenn er "die schöne Zeit nicht missen möchte." Denn nicht immer bekam Rößlein nur das Lob für seine Schiris vom Vortag weitergeleitet, auch die Kritik an den Pfeifenmännern gab es dann ungefiltert aus erster Hand. "Wenn ich Montagfrüh von Spielabbrüchen gelesen habe, dann habe ich Blut und Wasser geschwitzt", so Rößlein rückblickend mit einem Lachen.

Die Spielleiter und Schiedsrichterorgane im Kreis Nürnberg/Fürth bei der Spielebörse 1995 (v.l.): KJL Günter Zoll, GJL Peter Bursy, GSL Heinz Höhne, KSL Manfred Böhner, GSL Hubertus Waldmann, KSO Hans Rößlein, GSA Helmut Bauer.
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Mühsame Arbeit der Schiri-Einteiler

Noch ehe die EDV-Einführung eine wesentliche Erleichterung für die Schiri-Einteiler brachte, war die Aufgabe eine mühsame, die weit über die Börsen-Zeit hinaus dauerte: "Wir hatten nach der Börse zig handgeschriebene Listen mit Paarungen, die wir einteilen mussten. Da war man dann anschließend noch zu Hause bis in die Nacht gesessen. Denn bis spätestens 19 Uhr am Dienstagabend mussten die Karten - alle handgeschrieben - mit der Spieleinteilung im Briefkasten sein, damit die Schiris bis Donnerstag wussten, wo sie am Wochenende pfeifen sollten. Der Aufwand war enorm!" Dass die Vereine, anders als heute, erst unmittelbar vom Spiel dann sehen konnten, wer pfeift, war vor dem Computer-Zeitalter noch selbstverständlich und gab freilich auch manche Überraschung.  

Doch nicht nur das handschriftliche Prozedere bei der Schiri-Einteilung wurde im Zuge der Digitalisierung zum Auslaufmodell, auch die Spielebörse an sich wurde es. Die Zeiten, als Telefone noch rar waren und die Postzustellung nicht immer zuverlässig funktionierte, waren lange vorbei. Platzte der Karl-Bröger-Keller in den Anfangsjahren noch aus allen Nähten, so verliefen sich im Laufe der Zeit immer weniger von den jüngeren Spielleitern der Vereine auf der Börse.

Busfahrt der Börsengänger nach Österreich

"Rauchschwaden durchdringen schon lange nicht mehr den langen Raum und es war halt alles in der guten alten Zeit noch besser, als über manches noch gezankt wurde, was vom Vortag an sportlicher Brisanz war, um anschließend beim Kartenspiel bis spät in die Nacht den Fußballalltag wieder zu vergessen", schrieb der spätere Kreisspielleiter Hubertus "Hugo" Waldmann 1995 wehmütig und appellierte daher eindringlich: "Aber Kameraden, nachdenken! Nur noch alles per Telefon oder Fax? Unvorstellbar!"

Waldmann war es auch, der zweimal im Jahr einen großen Ausflug für die Börsen-Gänger organisierte. "Da ging es an einem Feiertag los mit dem Bus. Von Donnerstag bis Sonntag gab es dann den Ausflug, zum Beispiel nach Filzmoos in Österreich", erinnert sich Rößlein. Heute unvorstellbar!

"Die Welt hat sich eben verändert", sagt Rößlein und Hempel versucht den Bogen in die Gegenwart zu spannen: "Heute würde man wohl sagen: Die Spielebörse war eine riesengroße Whatsapp-Gruppe!"

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