Hier kommt des Menschen größtes Laster zum Tragen – die
Gier. Höher, schneller, weiter. Für den Weltfußball schien es keine Grenzen
mehr zu geben. Hier noch eine Nations League, da noch eine Club-WM. Modus egal,
Hauptsache Spiele, Spiele, Spiele. Und somit auch Geld, Geld, Geld. Dazu noch ein Übertragungssender mehr, noch einer …. und noch
einer. Neben den öffentlich-rechtlichen Anstalten - Sportschau und Aktuelles
Sportstudio müssen schließlich unantastbar bleiben - und Sky wurden plötzlich
Eurosport und DAZN an die Oberfläche gespült, Magenta Sport nicht zu vergessen.
Behält der ottonormalverbrauchende Fußballfan überhaupt noch den Überblick?
Zerplatzt wie Luftblasen
Vor gut 20 Jahren wechselte Nicolas Anelka für die
Rekordsumme von 35 Mio. Euro zu Real Madrid. So hoch ist im Übrigen das
geschätzte, aktuelle Jahresgehalt von Neymar, der 2017 für 222 Mio. Euro nach
Paris wechselte. Real Madrid bekam für den Champions League Sieg 2000 ca. 28
Mio. Euro aus Prämien und Vermarktung. Liverpool hatte 2019 immerhin noch gut
75 Mio. verdient. Grenzen? Keine in Sicht.
Dabei sollte ein Blick in die Geschichte doch Warnung genug
sein. Nirgends zeigt sich eine so hohe Selbstreinigungsrate wie bei den
Luftblasen der finanzabhängigen Branchen. Der schwarze Freitag an der Börse
1929, das Platzen der Dotcom-Blase 2000, als jeder dachte, dank Infineon-Aktien
die Börse durchschaut und eine Gelddruckmaschine gefunden zu haben. Die
Finanzkrise 2008, als die Pleite der Lehman Brothers die Wall Street leer
fegte. Das sind nur die gängigsten Beispiele. Jeder dürfte schon einmal die
Erfahrung gemacht haben – zu viel Luft im Kaugummi verklebt das Gesicht.
Während die Rummenigges und Watzkes dieser Fußballwelt vor
Monaten die Nullen VOR dem Komma kaum mehr zählen konnten, müssen sie nun
schauen, wie sie in zwei oder drei Monaten Gehälter zahlen können. Klar – Angebot
und Nachfrage bestimmen den Preis. Was spricht denn aber gegen eine
Gehaltsobergrenze, was spricht gegen eine Deckelung der Ablösesummen? Warum funktioniert
das in den schillerndsten Ligen Amerikas, der NBA und der NFL? Warum nicht im
Fußball? Zur scheinbaren Beruhigung wurde von Seiten der UEFA das
Financial Fairplay (FFP) eingeführt. Ein BlaBlaBla-Luftballon. Paris St.
Germain und ManCity haben 2013/2014 gegen die Regularien verstoßen und gegen
eine Zahlung von 20 Mio. Euro sahen die Oberen von Sanktionen ab. Für die
jeweiligen Eigentümer ein Griff in die Portokasse.
Kontakt zur Basis verloren
Was immer deutlicher wird: Der Fußball hat den Kontakt zur
Basis völlig verloren. Karl-Heinz Rummenigge pochte auf ein Durchsetzen des 26.
Spieltages „aus Gründen der Wirtschaftlichkeit“. Gesundheit der Zuschauer? Egal.
Notfalls auch als Geisterspiel. Support? Geschenkt. Was kaum einer mehr bedenkt
– Lieschen Müller möchte eigentlich nichts anderes, als die Kutte anziehen, mit
ihrem grün/gelb/blau/rot-weißem Schal in der Nord/Süd/Ost/West-Kurve stehen,
die Vereinshymne trällern, die gegnerische Aufstellung mit einem liebevollen
„Arschloch“ beschreien und bei Bratwurst und Bier Tore feiern, Gegner
beleidigen und mit Freude (Sieg) oder Trauer (Niederlage) nach Hause gehen.
Dabei spielt es für sie keine Rolle, ob Lothar Matthäus im maßgeschneiderten
Anzug bei Sky im besten fränkisch seine Expertisen abgibt oder ob bei DAZN die
achte Zeitlupe zum fünften Videobeweis gezeigt wird. Wie sieht die Zukunft aus? Der Transfermarkt wird
durchgespült werden. Wird der Preis für einen „infizierten“ Spieler geringer
(also für einen Spieler, der einmal eine Grippe hatte)? Lassen wir es mit der
Ironie.
Die Preise müssen eigentlich fallen, endlich. Mit den einst
so sicher geltenden Fernsehgeldern kann nicht mehr absolut, oder zumindest
nicht ohne Plan B, gerechnet werden. Zahlen beziehungsweise bieten die
Fernsehsender die bisher gehandelten Preise überhaupt noch? Angebot und
Nachfrage bestimmen schließlich den Preis – es müsste jetzt aufgrund
finanzieller Engpässe weniger Nachfragen (also weniger Mitbieter, also weniger
Preistreiber) geben?
Ändert sich der Fußball?
Vielleicht sind wir die letzten Fußballromantiker und hoffen
auf ein „Back to the Roots“. Vielleicht ändert sich auch nichts und es geht
nach Abklingen der Krise relativ zügig wieder Back to Business. Das wäre
allerdings sehr schade. Denn wenn diese Krise etwas Positives hat, dann dass
die Gesellschaft wieder näher zusammenrückt, auch außerhalb des Platzes, und
Geld nicht mehr die allergrößte Rolle spielt. COVID-19 macht auch vor
Millionären nicht Halt.
Wie sagte schon ein weißer Brasilianer … ähm sorry … weiser
Mann: “Irgendwann holt sich die Straße den Fußball zurück!“ Rein wörtlich hat
Ansgar Brinkmann Recht, da Markus Söder Spiel- und Sportplätze gesperrt hat
und irgendwo müssen die Jungs doch kicken. Es besteht die Hoffnung, dass der
Fußball nach der Corona-Krise ein anderer ist. Vielleicht wieder etwas mehr zu
den Wurzeln, etwas demütiger und ehrlicher … etwas weniger monetär. Ironischerweise hat der kleine runde Virion, mit den
dornenbesetzten Krönchen (lat. coronam) dem allmächtig erscheinenden König
Fußball die Grenzen aufgezeigt. Schneller als man erwarten konnte. Jetzt gilt
es, daraus zu lernen.
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