Kommentar zur Corona-Krise: Der Markt bereinigt sich immer selbst - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 19.03.2020 um 14:00 Uhr
Kommentar zur Corona-Krise: Der Markt bereinigt sich immer selbst
Wer hätte das gedacht? Als sich im Spiel Hoffenheim gegen Bayern München die Spieler in den letzten Minuten den Ball zuspielten, um gegen Hassplakate zu protestieren, ahnte wohl keiner, dass das die letzten prägnanten Bilder der noch laufenden Saison sein werden. Eine Milliardenbranche, ausgeknockt von einem ungefähr 100 Nanometer großen Virion namens COVID-19, vermutlich entstanden auf einem Fischmarkt in Wuhan.
Von Alexander Rausch
Hier kommt des Menschen größtes Laster zum Tragen – die Gier. Höher, schneller, weiter. Für den Weltfußball schien es keine Grenzen mehr zu geben. Hier noch eine Nations League, da noch eine Club-WM. Modus egal, Hauptsache Spiele, Spiele, Spiele. Und somit auch Geld, Geld, Geld. Dazu noch ein Übertragungssender mehr, noch einer …. und noch einer. Neben den öffentlich-rechtlichen Anstalten - Sportschau und Aktuelles Sportstudio müssen schließlich unantastbar bleiben - und Sky wurden plötzlich Eurosport und DAZN an die Oberfläche gespült, Magenta Sport nicht zu vergessen. Behält der ottonormalverbrauchende Fußballfan überhaupt noch den Überblick?

Zerplatzt wie Luftblasen

Vor gut 20 Jahren wechselte Nicolas Anelka für die Rekordsumme von 35 Mio. Euro zu Real Madrid. So hoch ist im Übrigen das geschätzte, aktuelle Jahresgehalt von Neymar, der 2017 für 222 Mio. Euro nach Paris wechselte. Real Madrid bekam für den Champions League Sieg 2000 ca. 28 Mio. Euro aus Prämien und Vermarktung. Liverpool hatte 2019 immerhin noch gut 75 Mio. verdient. Grenzen? Keine in Sicht.

Dabei sollte ein Blick in die Geschichte doch Warnung genug sein. Nirgends zeigt sich eine so hohe Selbstreinigungsrate wie bei den Luftblasen der finanzabhängigen Branchen. Der schwarze Freitag an der Börse 1929, das Platzen der Dotcom-Blase 2000, als jeder dachte, dank Infineon-Aktien die Börse durchschaut und eine Gelddruckmaschine gefunden zu haben. Die Finanzkrise 2008, als die Pleite der Lehman Brothers die Wall Street leer fegte. Das sind nur die gängigsten Beispiele. Jeder dürfte schon einmal die Erfahrung gemacht haben – zu viel Luft im Kaugummi verklebt das Gesicht.

Während die Rummenigges und Watzkes dieser Fußballwelt vor Monaten die Nullen VOR dem Komma kaum mehr zählen konnten, müssen sie nun schauen, wie sie in zwei oder drei  Monaten Gehälter zahlen können. Klar – Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Was spricht denn aber gegen eine Gehaltsobergrenze, was spricht gegen eine Deckelung der Ablösesummen? Warum funktioniert das in den schillerndsten Ligen Amerikas, der NBA und der NFL? Warum nicht im Fußball? Zur scheinbaren Beruhigung wurde von Seiten der UEFA das Financial Fairplay (FFP) eingeführt. Ein BlaBlaBla-Luftballon. Paris St. Germain und ManCity haben 2013/2014 gegen die Regularien verstoßen und gegen eine Zahlung von 20 Mio. Euro sahen die Oberen von Sanktionen ab. Für die jeweiligen Eigentümer ein Griff in die Portokasse.

Kontakt zur Basis verloren

Was immer deutlicher wird: Der Fußball hat den Kontakt zur Basis völlig verloren. Karl-Heinz Rummenigge pochte auf ein Durchsetzen des 26. Spieltages „aus Gründen der Wirtschaftlichkeit“. Gesundheit der Zuschauer? Egal. Notfalls auch als Geisterspiel. Support? Geschenkt. Was kaum einer mehr bedenkt – Lieschen Müller möchte eigentlich nichts anderes, als die Kutte anziehen, mit ihrem grün/gelb/blau/rot-weißem Schal in der Nord/Süd/Ost/West-Kurve stehen, die Vereinshymne trällern, die gegnerische Aufstellung mit einem liebevollen „Arschloch“ beschreien und bei Bratwurst und Bier Tore feiern, Gegner beleidigen und mit Freude (Sieg) oder Trauer (Niederlage) nach Hause gehen. Dabei spielt es für sie keine Rolle, ob Lothar Matthäus im maßgeschneiderten Anzug bei Sky im besten fränkisch seine Expertisen abgibt oder ob bei DAZN die achte Zeitlupe zum fünften Videobeweis gezeigt wird. Wie sieht die Zukunft aus? Der Transfermarkt wird durchgespült werden. Wird der Preis für einen „infizierten“ Spieler geringer (also für einen Spieler, der einmal eine Grippe hatte)? Lassen wir es mit der Ironie.

Die Preise müssen eigentlich fallen, endlich. Mit den einst so sicher geltenden Fernsehgeldern kann nicht mehr absolut, oder zumindest nicht ohne Plan B, gerechnet werden. Zahlen beziehungsweise bieten die Fernsehsender die bisher gehandelten Preise überhaupt noch? Angebot und Nachfrage bestimmen schließlich den Preis – es müsste jetzt aufgrund finanzieller Engpässe weniger Nachfragen (also weniger Mitbieter, also weniger Preistreiber) geben?

Ändert sich der Fußball?


Vielleicht sind wir die letzten Fußballromantiker und hoffen auf ein „Back to the Roots“. Vielleicht ändert sich auch nichts und es geht nach Abklingen der Krise relativ zügig wieder Back to Business. Das wäre allerdings sehr schade. Denn wenn diese Krise etwas Positives hat, dann dass die Gesellschaft wieder näher zusammenrückt, auch außerhalb des Platzes, und Geld nicht mehr die allergrößte Rolle spielt. COVID-19 macht auch vor Millionären nicht Halt.

Wie sagte schon ein weißer Brasilianer … ähm sorry … weiser Mann: “Irgendwann holt sich die Straße den Fußball zurück!“ Rein wörtlich hat Ansgar Brinkmann Recht, da Markus Söder Spiel- und Sportplätze gesperrt hat und irgendwo müssen die Jungs doch kicken. Es besteht die Hoffnung, dass der Fußball nach der Corona-Krise ein anderer ist. Vielleicht wieder etwas mehr zu den Wurzeln, etwas demütiger und ehrlicher … etwas weniger monetär. Ironischerweise hat der kleine runde Virion, mit den dornenbesetzten Krönchen (lat. coronam) dem allmächtig erscheinenden König Fußball die Grenzen aufgezeigt. Schneller als man erwarten konnte. Jetzt gilt es, daraus zu lernen.

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