Ohne Mühe kann Thorsten Kirschbaum die Ergebnisse seines Heimatvereins und die Tabellensituation in der Kreisklasse 3 Nürnberg/Frankenhöhe aufsagen. Denn auch wenn sein berufliches Interesse freilich mittlerweile der Bundesliga gilt, verfolgt er doch noch sehr genau, wie es bei seinem TSV Obernzenn läuft. "Obernzenn und der TSV, das ist meine Heimat, es ist einfach schön hier immer wieder zurückzukommen", sagt die aktuelle Nummer eins des VfB Stuttgart.
Schon durch die familiäre Verbindung ist der Kontakt zum TSV Obernzenn in all den Jahren nie abgerissen. Vater Erich ist schlieslich nach wie vor als Fusball-Abteilungsleiter aktiv, die Eltern betreuen zudem an Spieltagen die Vereinsgaststätte, Cousin Jens Thaler spielte bis zur vergangenen Saison noch selbst in Obernzenn, ist aber auch nach seinem Wechsel als Spielertrainer zum SV Losaurach ein regelmäsiger Kontakt in die Heimat: "Wir telefonieren eigentlich jeden Sonntag, wenn ich von den Spielen heimfahre, insofern ist da schon ein stetiger Austausch", erklärt Jens Thaler. Zudem ist Jens' Bruder Michael Thaler, der den Verein mit Leib und Seele lebt, beim Kreisklassisten als Spieler und Vorstand aktiv.
Thorsten Kirschbaum (u.l.) ist ein gern gesehener Trainingsgast beim TSV Obernzenn.
Foto: privat
Da verwundert es kaum noch, dass der derzeit wohl berühmteste Sohn der Gemeinde des Öfteren am Sportgelände anzutreffen ist, hin und wieder sogar als Trainingsgast in seiner Freizeit. Erst neulich führte der Weg in der Heimat schnurstracks zum Sportplatz - die 2. Mannschaft spielte schlieslich. Auch wenn man freilich stolz auf "Kirsche" in Obernzenn ist, so fühlt sich der Bundesliga-Keeper gerade deshalb wohl, weil er dort nicht allein als Fusballidol wahrgenommen wird. "Freilich spricht man darüber, wie es so läuft beim Fusball, es geht recht schnell aber auch über ganz andere Themen; eben wie man sich mit Freunden unterhält, ich fühle mich ja nicht etwa als Star", weis Kirschbaum die Idylle in Obernzenn nach wie vor zu schätzen. Auf die Frage, ob es der Reiz sei, den Fusball im Amateurbereich etwas entspannter verfolgen zu können, entgegnet Kirschbaum augenzwinkernd: "Also wenn ich mir das Geschreie so am Sportplatz anschaue, ist da wenig von Entspannung zu sehen."
Ein erster Erfolg in der Karriere: Hallenkreismeister 1996 mit der D-Jugend des TSV Obernzenn.
Foto: privat
Dabei hat er die beschauliche Heimat schon vor 15 Jahren verlassen, als der 1. FC Nürnberg auf das Talent aufmerksam wurde. In der E-Jugend spielte er im Feld, in der D-Jugend half er damals schon als Torwart seinem Vater, der das Team coachte, aus. Über die Fußballschule von Werner Rank entstand schließlich der Kontakt zum Club, für den er fünf Jahre lang das Tor hütete, ehe noch in der A-Jugend die damals bereits aufstrebende TSG Hoffenheim mit ihrem U19-Coach Uwe Wolf seine Fühler ausstreckte. Die Durchlässigkeit nach oben mit der Chance im Herrenbereich Einsatzzeiten zu bekommen, bot im Kraichgau eine bessere Perspektive. "Man merkte schon damals, dass da einiges am Entstehen war, das war alles schon im Jugendbereich sehr professionell organisiert und hat mir letztlich einen ordentlichen Schub gegeben und die Erkenntnis, dass ich es packen kann mit einer Profikarriere als Torwart", blickt Kirschbaum auf das Wagnis, als 17-jähriger von Obernzenn zu einer Gastfamilie zu ziehen, zurück.
Hansi Flick, später Co-Trainer der Nationalmannschaft, hielt bei der TSG große Stücke auf das fränkische Torwarttalent und so erhielt Thorsten Kirschbaum seinen ersten Profivertrag, erlebte den steilen Aufstieg der Hoffenheimer (u.a. die Herbstmeisterschaft in der Bundesliga) mit. Das Tor der DFB-Nachwuchsnationalmannschaft durfte er auch in der U21 in sieben Länderspielen hüten, sein Debüt gab er im Februar 2007 gegen Schottland, als er zur Halbzeit für Manuel Neuer eingewechselt wurde. In der 2. Bundesliga debütierte Kirschbaum Ende 2007 beim Gastspiel bei der SpVgg Greuther Fürth. Allerdings musste er sich in der Torwart-Hierarchie zunächst hinten anstellen. Um Spielpraxis zu sammeln, ergab sich ein Wechsel in die erste Schweizer Liga zum FC Vaduz, der damals von Pierre Littbarski gecoacht wurde. Allerdings war Kirschbaums Bestreben schon, im Blickfeld des deutschen Profifußballs zu bleiben. Über den SV Sandhausen wechselte er zur Saison 2010/11 zum FC Enerige Cottbus. "Auch wenn es sehr schöne Jahre für mich in Cottbus waren, so habe ich doch die Chance gesehen in Stuttgart den nächsten Schritt zu gehen, einen Fuß in die Tür zur Bundesliga zu kriegen", erklärt Kirschbaum den für einige überraschenden Schritt als Stammkeeper von Cottbus als nominelle Nummer zwei zum VfB zu wechseln.
Thorsten Kirschbaum in Diensten des FC Energie Cottbus bei einem Gastspiel in Fürth.
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Die Nähe zur Heimat habe dabei nicht die entscheidende Rolle gespielt: "Freilich ist es vom Standort einfacher, sich zu Hause umzuschauen, aber vielmehr ist es doch der Reiz vor 50.000 Zuschauern spielen zu können. Davon träumt doch jeder Fußballer." Als Vertreter von Sven Ulreich durfte Kirschbaum in der vergangenen Saison schon einmal das Bundesliga-Tor der Stuttgarter hüten, am 6. Spieltag des laufenden Spieljahrs entschied sich VfB-Trainer Veh zu einem Torhüterwechsel. Seitdem darf Thorsten Kirschbaum aus Obernzenn einen der begehrten Plätze im Fußball-Oberhaus besetzen. Und auch wenn er in fünf Partien schon vierzehnmal hinter sich greifen musste, stärkte ihm der Coach den Rücken, ein besonderer Vertrauensbeweis, den der ehrgeizige 1,94-Mann mit guten Leistungen rechtfertigen möchte.
Rückblickend kann Kirschbaum schon jetzt von "vielen richtigen Transfer-Entscheidungen" in seiner Karriere berichten, "auch wenn sich das jetzt leicht sagen lässt", wie er bescheiden anmerkt. Vorausschauend weiß er noch nicht, wohin ihn der Fußball treibt: "Es ist schwer zu sagen, was in zehn Jahren ist." Aktuell fühlt er sich trotz der prekären sportlichen Situation in der neuen Heimat Stuttgart sehr wohl, die alte Heimat wird immer die beschauliche Gemeinde Obernzenn "im Herzen Mittelfrankens" bleiben.