Über die Soft-Skills eines Schiris: Striebich: "Vermeidbare Diskussionen und Hektik" - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 25.03.2024 um 12:00 Uhr
Über die Soft-Skills eines Schiris: Striebich: "Vermeidbare Diskussionen und Hektik"
Schiedsrichter haben es in der Regel nicht leicht. Deswegen gibt es die sogenannten "Soft-Skills", mit denen sie Diskussionen und Hektik umgehen können. Valentin Striebich, Lehrwart aus der Fränkischen Schweiz, weist auf Tipps und Tricks hin, die gerne auch Zuschauer und Spieler kennen dürfen.
Von Uwe Kellner
Valentin Striebich pfeift Bezirksliga, hat einzelne Probespiele in der Landesliga und ist Assistent in der Junioren-Bundesliga.
Uwe Kellner
Guten Tag Herr Striebich, als Lehrwart der Schiedsrichtergruppe Fränkische Schweiz halten Sie auch gerne mal einen Vortrag bei einer anderen Gruppe. Hatten Sie auch schonmal eine Anfrage von einem Verein, der Sie für einen Regelvortrag vor seinen Fußballern oder "Problemfans" buchen wollte, um das Verständnis für die Regeln zu verbessern? Könnten Sie sich das vorstellen beziehungsweise gibt es etwas Vergleichbares?
Valentin Striebich: Mit Fans habe ich noch nicht gearbeitet. Mit Spielern habe ich bei vereinzelten Vereinen schon öfters während der Saisonvorbereitung gesprochen. Dabei ging es dann meistens um die jeweiligen Regeländerungen zur neuen Saison und Klärung allgemeiner Fragen. Ich denke, dass da auch die meisten Schiedsrichtergruppen offen sind, da Regelkunde der Spieler am Ende vor allem den Schiedsrichtern auf dem Feld zugutekommt.

Das Interview mit Ihnen heute soll von den Soft Skills eines Schiedsrichters handeln, also Möglichkeiten, die ein Schiedsrichter hat, um Konflikte im Voraus zu verhindern. Dürfen Fußballer und Zuschauer von diesen Soft Skills erfahren, oder sind diese nur von Schiedsrichterohr zu Schiedsrichterohr gedacht?
Valentin Striebich: Auch das muss, glaube ich, kein Geheimnis sein – im Gegenteil: Ein Verständnis dafür, dass Schiedsrichter sein mehr ist als eine Entscheidung nach der anderen zu treffen, hilft am Ende dem Schiedsrichterwesen. Oft moderiert ein Schiedsrichter ein Spiel, kommuniziert dabei mit den Spielern und nimmt aufkommende Härte oder Hitze aus dem Spiel. Dass es dabei auch den ein oder anderen Tipp und Trick gibt, darf ruhig auch Zuschauern und Spielern bekannt sein.

Was lehren Sie Ihren Schiedsrichterkollegen in puncto Soft Skills Grundsätzliches?

Valentin Striebich: Es gibt ein paar Möglichkeiten, die einem das Leben auf dem Spielfeld wesentlich leichter machen. Dabei geht es nicht darum, nur nach Zufriedenheit zu pfeifen oder harte Entscheidungen zu vermeiden. Es geht darum wie man 50/50-Szenen clever löst oder grundsätzliche Hitze aus einem Spiel nimmt, um damit vermeidbare Diskussionen und Hektik zu umgehen, ohne dabei jemanden zu benachteiligen oder Regeln zu missachten. Ein paar Beispiele:
Pausen setzen
In hitzigen Spielphasen sollte der Schiedsrichter selbst ruhig bleiben und sich nicht von der Hektik anstecken lassen. Merkt der Schiedsrichter, dass die Spieltemperatur zunimmt, kann er sich bei persönlichen Strafen, Freistößen oder Wechseln durchaus ein wenig Zeit nehmen und dadurch auch den Spielern die Zeit geben, sich ein wenig zu beruhigen.
Aus 50/50 Szenen oder Zweifeln & Fehlern möglichst keine Torchance
Wenn sich der Schiedsrichter selbst unsicher ist, sollte aus der Szene möglichst nicht direkt ein Tor fallen. Das heißt zum Beispiel, offensive Freistoßentscheidungen in Strafraumnähe sollten für den Schiedsrichter eher klar sein, potenzielle Stürmerfouls mit einer klaren Torchance als Folge, sollten nur weiterlaufen gelassen werden, wenn es nach der Wahrnehmung des Schiedsrichters eindeutig kein Foul war oder bei Zweifeln des Schiedsrichters, ob es Abstoß oder Eckstoß geben soll, ist Abstoß die sicherere Variante.
Auf Balance achten
Nach mehreren Freistoßentscheidungen hintereinander zugunsten einer Mannschaft, sollte der Schiedsrichter auch nach einem cleveren Pfiff für die andere Mannschaft suchen. Dabei ist wie beim vorherigen Punkt beschrieben wichtig, dass es kein fragwürdiger Pfiff in Strafraumnähe ist.
Vorteil mit Bedacht
Wenn es kein klarer Angriff mit klarem Zug Richtung Tor, viel Platz und hoher Wahrscheinlichkeit zum Torabschluss ist, sollte ein Foulspiel eher direkt gepfiffen werden. Verliert die Mannschaft kurz darauf unglücklich den Ball, ist man als Schiedsrichter der Buhmann, da man das Foul nicht gepfiffen hat. Außerdem geht man das Risiko ein, dass sich die Szene „hochschaukelt“ und ein härteres Foulspiel folgt.

Valentin Striebich vor Publikum. Der Lehrwart der Fränkischen Schweiz pfeift nicht nur sehr viele Fußballspiele, sondern gibt sein Wissen auch an andere Schiedsrichter weiter. Ein solcher Vortrag ist natürlich viel ausführlicher als ein Interview bei anpfiff.info.
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Auf zwei, drei Punkte möchte ich genauer eingehen. Es geht um Pfiffe, die einen Freistoß aus einer ungefährlichen Situation zur Folge haben und Pfiffe rund um den Sechzehner, die zu einer torgefährlichen Situation führen oder sogar zu einem Elfmeter. Gibt es einen Unterschied, wann ein Schiedsrichter ein Vergehen pfeift, in Abhängigkeit von der Position auf dem Spielfeld? Es gibt ja diesen bestimmten Ausdruck "das reicht nicht für einen Elfmeter", aber woanders auf dem Spielfeld hätte es gereicht?
Valentin Striebich: Natürlich gilt grundsätzlich, dass ein Foul ein Foul ist. Allerdings bewegen wir uns beim Foulspiel sehr oft in einem großen Graubereich. Oft sind Foulspiele eben nicht glasklar, sondern lassen sich unterschiedlich sehen – dafür sind wir als Schiedsrichter ja da. Umso näher der Tatort in Richtung des gegnerischen Tores liegt, umso höher ist logischerweise auch die Torgefahr. Gerade in unmittelbarer Nähe des Strafraums und vor allem im Strafraum, sollte ich mir als Schiedsrichter der erhöhten Torgefahr bewusst sein und daher auch vor allem die klaren Vergehen ahnden. Auch wenn der Anspruch natürlich ist, möglichst nur richtige Foulspiele zu pfeifen, fällt ein umstrittener Pfiff im Mittelfeld oder an der gegnerischen Eckfahne nicht so sehr ins Gewicht. Daher kann dort auch mal ein cleverer Pfiff gepfiffen werden, um Spieltempo herauszunehmen oder Dysbalance auszugleichen, der in Strafraumnähe einfach zu unklar gewesen wäre.

Jede Mannschaft hat Spieler auf dem Feld, bei denen es mehr oder weniger wichtig ist, ob derjenige eine gelbe Karte kassiert. Bei einem Stürmer ist eine gelbe Karte in der Regel unbedeutend, eine frühe Verwarnung gegen einen Innenverteidiger nimmt diesen so gut wie aus dem Spiel. Darf sich ein Innenverteidiger ein wenig mehr erlauben, oder was heißt das für Sie als Schiedsrichter?
Valentin Striebich: Nein, per se darf sich ein Innenverteidiger nicht mehr erlauben als ein anderer Spieler auf dem Feld: Eine gelbe Karte ist eine gelbe Karte. Allerdings kennt vermutlich auch jeder Schiedsrichter zum Beispiel die Situation, dass das Spiel hitzig wird oder Foulspiele zunehmen und er jetzt mal ein Zeichen setzen möchte. Dafür werden oftmals Vergehen genutzt, für die isoliert betrachtet eine Verwarnung relativ hart wäre, allerdings eben das gewünschte Zeichen gesetzt werden kann. In solchen Szenen sollte der Schiedsrichter sich einfach bewusst sein / machen, dass eine Karte eine hohe Auswirkung für einen Innenverteidiger hat, da dieser zwangsläufig laufend in Zweikämpfe gerät, die ihn nun Gelb-Rot gefährden. Der Schiedsrichter muss bewerten, ob die Szene dafür geeignet ist.

Wenn Spieler und Zuschauer ein Verständnis für das Verhalten des Schiedsrichters auf dem Platz bekommen, gibt es vielleicht in Zukunft weniger Diskussionen.
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Unter dem Sprichwort "keine weißen Mäuse sehen" sollen Schiedsrichter keine Situation größer machen, als diese ist, vor allem dann nicht, wenn es nicht gefordert wird. Man könnte auch sagen, "du sollst kein Fass anstechen, wenn du keine Party haben willst". Aber heißt das nicht im Gegenzug, dass Spieler und Zuschauer dazu aufgerufen werden, jede Situation auf dem Spielfeld mit viel Tamtam zu begleiten, um den Schiedsrichter zu einer Reaktion zu bewegen? Wie muss man damit umgehen?
Valentin Striebich: Nein, es soll auf keinen Fall die Lehre daraus sein, dass die Theatralik auf und neben dem Feld befeuert wird. Das ist nämlich die andere Seite der Medaille. Klar, zum einen soll man nichts selbst in Szenen hineininterpretieren, das gar nicht da ist. Da gehört aber auch dazu, sich nicht von Zurufen von außen, übertriebenen Schreien nach einem Foul o.ä. beeinflussen zu lassen, sondern ausschließlich das zu bewerten, was man selbst wahrnimmt. Was an dem Leitspruch „keine weißen Mäuse sehen“ wichtig ist, ist, dass man als Schiedsrichter mit Grenzüberschreitungen rechnet und diese auch ahndet, aber nicht ständig auf der Suche danach ist und am Ende aus einer Mücke einen Elefanten macht. Zusammengefasst: man soll „rausnehmen was nicht reingehört, aber nicht mehr reinmachen als drin ist“.

Ein letzter Punkt. Sind Sie als Schiedsrichter mit Spielern und Trainern per "Du" oder per "Sie und gibt es dazu eine Vorgabe?
Valentin Striebich: Ich persönlich bin im Normallfall per „Du“. Der Grund für mich ist, dass wir alle (Spieler, Trainer, Schiedsrichter) gemeinsam unsere Freizeit auf dem Sportplatz verbringen und sich das für mich selbst unnatürlich anfühlt, die Sportkammeraden zu siezen. Gegenseitiger Respekt ist natürlich dennoch wichtig. Mir ist bewusst, dass da viele anderer Meinung sind. Ich glaube, dass kann jeder handhaben, wie er möchte, ohne dass es dabei gut oder schlecht gibt.

Vielen Dank für das ausführliche Interview!


Lehrwart Valentin Striebich zu Gast in Erlangen. GSA Simon Winkler (li.) und GSO Manfred Kettler (re.) freuten sich über seinen Besuch.
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