Das sagt der Doc: Muskelverletzungen im Fußball - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 02.01.2024 um 06:00 Uhr
Das sagt der Doc: Muskelverletzungen im Fußball
40 bis 50 Prozent unseres Körpergewichts kommen von der Skelett-Muskulatur. Da wird doch leicht verständlich, dass Muskelverletzungen überaus häufig sind. Im Fußball machen sie um die 30% der Verletzungen aus, was wahrscheinlich nur noch vom American Football übertroffen wird (bis zu 46%). Muskelverletzungen müssen nur ganz selten operativ behandelt werden, trotzdem werden sie oftmals unterschätzt. Woran liegt das?
Von Prof. Dr. med. Roland Biber (Chefarzt der Unfallchirurgie der DR. ERLER KLINIKEN in Nürnberg)
fussballn.de / Kögel
Am häufigsten betroffen sind die ischiakrurale Muskulatur („Hamstrings“), also der Beinbicepsmuskel sowie die als Semitendinosus und Semimembranosus bezeichneten Muskeln an der hinteren Oberschenkelinnenseite. Oft betroffen sind aber auch der Quadricepsmuskel (Kniestrecker auf der Oberschenkelvorderseite), die Adduktoren und der Wadenmuskel. Oft – aber nicht ausschließlich – sind sogenannte zweigelenkige Muskeln betroffen, die also wie etwa die Hamstrings über Hüfte und Knie hinweg oder wie der Wadenmuskel über Knie und Sprunggelenk hinweg ziehen. Diese Muskeln wirken gleichzeitig auf beide Gelenke und können z.B. gleichzeitig das eine Gelenk beugen und das andere strecken. Eine solche zweifache Einwirkung scheint Verletzungen zu begünstigen.    

Grundsätzlich unterscheidet man direkte und indirekte Muskelverletzungen. Bei den direkten liegt eine äußere Krafteinwirkung vor, die zur Prellung oder Quetschung (Kontusion) oder zu einem Einreißen (Lazeration) führt. Diese heilen meist schneller als indirekte Verletzungen, bei denen eben nicht eine äußere Kraft, sondern vielmehr eine funktionelle (Typen 1 und 2) oder strukturelle (Typen 3 und 4) Muskelverletzung vorliegt. Diese Einteilung hat der ehemalige Mannschaftsarzt des FC Bayern München, Dr. Müller-Wohlfahrt, vielfach in der Praxis erprobt und in der UEFA Injury Study etabliert.

Was heißt „funktionell“ und „strukturell“ bei Muskelverletzungen?

Bei den funktionellen Muskelverletzungen könnte selbst bei einer Autopsie mit bloßem Auge nichts am Muskel erkannt werden, während bei strukturellen Schäden kleine oder größere Risse erkennbar wären. Natürlich führen Ärzte am lebenden Sportler keine Autopsien durch, aber mittels Ultraschall oder MRT gelingt auch so ein ganz guter Einblick ins Köperinnere.

Die funktionellen Muskelverletzungen werden in einen Typ 1 (Überlastungsschäden) und einen Typ 2 (neuromuskuläre Verletzungen) unterschieden. Für den Typ 1 sind ermüdete Muskeln prädisponiert, wie diese steifer und unelastischer sind. Hier ist spezielles Training nötig, insbesondere am Saisonbeginn. „Neuromuskulär“ heißt, dass das Zusammenspiel zwischen Nerven und Muskeln nicht richtig funktioniert. Die Ursache kann im Bereich des Spinalnervs liegen, der vom Rückenmark bis zum Muskel zieht und z.B. bei einem Bandscheibenvorfall irritiert sein kann (Typ 2a). Es kann aber auch an der Verbindung des Nervens mit dem Muskel liegen, was dann zu eher krampfartigen Beschwerden führt.

Die strukturellen Verletzungen sind Teilrisse (Typ 3) oder komplette Muskelabrisse (Typ 4). Bei den Teilrissen unterscheidet man den Muskelfaserriss (Typ 3a) und den Muskelbündelriss (Typ 3b). Da man Faser und Bündel im Ultraschall nicht sicher unterscheiden kann, hat sich die Einschätzung anhand der Ausdehnung bewährt: Bei unter ca. 5mm Querausdehnung liegt eher ein Faserriss, bei mehr als 5mm ein Bündelriss vor. Die genaue Messung ist aber selbst im MRT schwierig, weil auch die nicht gerissene Muskulatur Wasser einlagert bzw. einbluten kann. Die Unterscheidung zwischen 3a und 3b ist aber schon relevant: Beim Typ 3a beträgt die Ausfallzeit meist 10 bis 14 Tage, beim Typ 3b dagegen 4 bis 6 Wochen. Komplette Muskelrupturen (Typ 4) entstehen oft im Übergang des Muskels zur Sehne, oder es kommt gar zum Sehnenausriss aus dem Knochen. Hier muss dann häufig operiert werden.

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Über den Autor

Prof. Dr. med. Roland Biber
Ärztlicher Direktor DR. ERLER KLINIKEN
Apl. Prof. für Orthopädie und Unfallchirurgie der PMU Salzburg
Chefarzt Klinik für Unfallchirurgie
Facharzt für Chirurgie
Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie
Zusatzbezeichnung Spezielle Unfallchirurgie, Sozialmedizin, Sportmedizin, Notfallmedizin
Zusatzbezeichnung Klinische Akut- und Notfallmedizin

Telefon:
0911/ 27 28–202
E-Mail: unfallchirurgie@erler-klinik.de

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