Dr. Christoph Kern im Interview: "Das erste Jahr war ehrlicherweise ein Lehrjahr" - anpfiff.info
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Artikel veröffentlicht am 25.06.2023 um 15:00 Uhr
Dr. Christoph Kern im Interview:
"Das erste Jahr war ehrlicherweise ein Lehrjahr"
Am 25. Juni 2022 haben die Delegierten auf dem 26. Ordentlichen Verbandstag des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV) in Bad Gögging Christoph Kern zum siebten Präsidenten in der 77-jährigen BFV-Historie gewählt. Im Interview spricht der 40 Jahre alte Jurist unter anderem über sein erstes Jahr an der Spitze des größten Landesverbandes.
Von
Sebastian Baumann
/ PM BFV
Der gebürtige Unterfranke, der mittlerweile in Schwaben heimisch geworden ist, war zuvor Bezirks-Vorsitzender in Schwaben und hatte das Sportgericht Bayern geleitet. Im Alter von 14 Jahren absolvierte er seine Schiedsrichter-Prüfung, leitete Partien bis in die Landesliga. Im Interview spricht der 40 Jahre alte Jurist über sein erstes Jahr an der Spitze des größten Landesverbandes unter dem Dach des Deutschen Fußball-Bundes, über gute und schlechte Gefühle, die hohe Frequenz von Terminen an der Basis, warum er „gerne per Du“ ist und was Teamwork für ihn bedeutet.
Plötzlich Präsident: Wie fühlt es sich nach einem Jahr an der Spitze des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV) an?
Christoph Kern:
Absolut gut. Es war ein spannendes, aber extrem lehrreiches Jahr und freilich auch anstrengend. Das war mir aber nicht erst am Tag meiner Wahl klar. Ich wusste immer, worauf ich mich einlasse. Von daher sind die ganz großen Überraschungen ausgeblieben.
Für viele war überraschend, dass Du allen das „Du“ angeboten hast. Deine Kandidaten-Vorstellung war seinerzeit mit dem Hashtag „#gerneperdu“ überschrieben ...
Christoph Kern:
Wir sind Sportlerinnen und Sportler, eine persönliche Nähe ist mir wichtig, sie bricht das Eis schneller. Für mich ist das ein Angebot, das ich gerne mache – ich zwinge das keinem auf, der es nicht will. Ein Präsident ist kein besserer Mensch, Christoph Kern ist Christoph Kern geblieben. Mir war und ist vor allem wichtig, den Leuten auf Augenhöhe zu begegnen, nahbar zu sein. Mich so zu geben, wie ich bin. Ehrlichkeit gehört für mich dazu – und mit Ehrlichkeit wächst das Vertrauen. Klar müssen – ob per Du oder per Sie – aber auch Entscheidungen getroffen werden, die nicht immer jedem gefallen.
Ein Mann des Volkes: Dr. Christoph Kern
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Wie viele Menschen hast Du in diesem ersten Jahr getroffen?
Christoph Kern:
(lacht)
Ich habe sie nicht gezählt. Aber ich habe genau das getan, was ich mir vorgenommen habe: Ich suche den Austausch – insbesondere auch außerhalb unserer Verbandsstrukturen. Ich bin dort, wo unser Amateurfußball daheim ist: in unseren Vereinen, auf unseren Fußballplätzen, bei den Menschen, die sich für unseren Fußball starkmachen und sich für unsere Kinder engagieren. Ich bin viel unterwegs gewesen. In rund acht Monaten waren das über 45.000 Kilometer. Mit der Präsenz allein ist es aber nicht getan, ich will Themen besprechen und etwas für mich und unsere Arbeit mitnehmen, Erfahrungen aus der Praxis einfließen lassen. Am Ende wollen wir alle dazu lernen, wir wollen besser werden.
Welche Themen sind haften geblieben?
Christoph Kern:
Eine ganze Menge. Die Aufgabenstellungen sind ganz unterschiedlich – beginnend bei finanziellen Sorgen aufgrund der gewaltigen Inflation und der explodierenden Energiepreise, über die Organisation des neuen Kinderfußballs bis hin zu fehlenden Trainerinnen und Trainern. Dazu die Debatte um die erneut diskutierte Situation der Regionalligen in Deutschland. Die Liste ist lang, die Arbeit geht beileibe nicht aus.
Wie arbeitest Du Themen ab?
Christoph Kern:
Mit Beginn meiner Amtszeit haben wir die Ressorthoheit im Präsidium geschaffen, klare Zuständigkeiten definiert und darüber hinaus auch geregelt, dass Entscheidungen dort getroffen werden, wo unsere Experten sitzen. Sie sind es, die das Wissen mitbringen. Das Thema Inflation und Energiepreise war beispielsweise mein Thema. Ich habe unseren Sportminister Joachim Herrmann mehrmals getroffen, auch mit Markus Söder sowie zahlreichen Mandatsträgern habe ich dazu gesprochen. Wir haben sehr früh um Lösungen mit der Politik gerungen, haben auf die Probleme der Vereine hingewiesen. Bei Corona war der Sport oftmals nur das fünfte Rad am Wagen. Das waren jetzt offene und ehrliche Gespräche und ebenso gute Ergebnisse: Die Vereinspauschale wurde verdoppelt, in gravierenden Fällen greift der bayerische Härtefallfonds auch für unsere Fußballvereine. Und wenn sich dann ein Kassier bei mir meldet, dass er Geld aus diesem Fonds bekommen hat, dann ist das ein gutes Gefühl.
Gab es auch Tage mit weniger guten Gefühlen?
Christoph Kern:
Zugegebenermaßen: Ja, die gab es. Insbesondere in den ersten Wochen. Ich hatte meinen Terminkalender schlicht zu voll gepackt. Es fehlte mir anfangs die Zeit, um Themen vor Ort ausführlich und zu Ende zu besprechen. Das habe ich schnell korrigiert. Ich bin von Haus aus gut strukturiert, als Präsident bin ich jetzt noch akribischer in meinen Planungen. Anders geht es auch nicht – nur so funktioniert der Einklang von Familie, Beruf und Fußball. Das erste Jahr war ehrlicherweise ein Lehrjahr: Ich habe Prozesse kennengelernt, Strukturen hinterfragt und angepasst, ich musste das Innenleben des Verbandes erforschen und habe Felder entdeckt, die ich so nicht gekannt hatte. Dabei konnte ich auf die Unterstützung solch erfahrener Menschen wie meiner Stellvertreterin Silke Raml oder Schatzmeister Jürgen Faltenbacher bauen, auch Vize-Präsident Robert Schraudner bin ich dankbar. Er wollte schließlich ebenfalls Präsident werden. Umso wertvoller ist es jetzt, dass er sich so intensiv mit einbringt und jetzt beispielsweise unser starker Mann im Präsidium des BLSV ist.
Entspannt, sehr sympathisch und volksnah: Der neue BFV-Präsident Dr. Christoph Kern kommt bei der Basis gut an.
anpfiff.info
Das klingt nach Teamwork?
Christoph Kern:
Das klingt nicht nur so, das leben wir! Ein starkes Präsidium mit Entscheidungsfreiheiten im operativen Geschäft ist Vertrauenssache. Und: Wir vertrauen uns. Ich bin nicht der, der immer in der ersten Reihe zu stehen hat. Etwas auf mehrere Schultern zu verteilen, das ist mein Weg!
Dieser Weg hat den Vorstand auch auf den Platz geführt ...
Christoph Kern:
In der Tat. Wir haben die neue Form des Kinderfußballs ausprobiert, die zur Saison 2024/25 deutschlandweit flächendeckend eingeführt wird, dazu Walking Football, ein Angebot für Seniorinnen und Senioren, gespielt. Für diese Altersgruppe bieten wir in unseren Vereinen bislang kaum etwas ein. Das kann sich der Fußball auf Dauer nicht leisten.
Weil die Zahl der Aktiven sinkt?
Christoph Kern:
Richtig, wir sehen das an der Entwicklung im Männerfußball. Es werden immer mehr Spielgemeinschaften gebildet, weil die kleineren Vereine sonst gar nicht mehr am Spielbetrieb teilnehmen könnten. Die sollen aber immer nur eine Notlösung sein. Noch extremer ist die Entwicklung beim Nachwuchs: Da haben wir bayernweit 5292 Spielgemeinschaften, das sind fast ein Drittel aller Teams. Wir reden bei einer Spielgemeinschaft nicht davon, dass nur zwei Vereine zusammenarbeiten. Teilweise sind es fünf, sechs Klubs. Und die sollen letztlich alle Stammvereine im Erwachsenenbereich befüllen. Wie soll das auf Dauer gehen? Außerdem geht durch die Spielgemeinschaft der Bezug zum Heimatklub verloren, ein Großteil will nach der Jugend doch weiter mit den Freunden zusammenspielen.
Liegt es daran, dass es für Jungen und Mädchen auch viel mehr Alternativen der Freizeitgestaltung gibt, die Schule immer mehr Zeit verlangt?
Christoph Kern:
Ja, aber nur zum Teil. Wir haben kein Nachwuchsproblem, 2022 haben wir so viele Passerstausstellungen vorgenommen, wie seit 15 Jahren nicht mehr. Untersuchungen zeigen, dass Fußballer und Fußballerinnen durchschnittlich zehn Jahre im Verein aktiv sind, das hat sich über eine lange Zeit nicht geändert. Nur beginnen die Kinder heutzutage mit fünf Jahren, früher gingen sie mit acht oder neun in den Verein. Aber dann, war nach zehn Jahren die Perspektive vorhanden, den Sprung in die erste Mannschaft zu packen, das war ein echter Anreiz. Jetzt enden die zehn Jahre in der Pubertät, die allein schon nicht leicht ist – Eltern können ein Lied davon singen. Dazu ist die Perspektive mit einem Wechsel zu den A- oder B-Junioren nicht der ganz große Wurf. Spieler in diesem Alter bei der Stange zu halten, das ist eine gigantische Herausforderung.
Ist die Gewalt auf den Sportplätzen in den Griff zu kriegen?
Christoph Kern:
Ich hoffe es, und wir werden hier weiterhin unmissverständlich klare Kante zeigen. Es gab vergangenes Jahr in Bayern 68 Fälle mit körperlicher Gewalt bei 250.000 Spielen. Ich will und werde das keinesfalls kleinreden, jeder Einzelfall ist einer zu viel. Da gibt es auch keinen Graubereich, wir fahren eine Null-Toleranz-Politik. Klar ist: Die Verrohung der gesamten Gesellschaft nimmt immer weiter zu. Die Tatsache, dass in der Silvesternacht in Berlin Polizei und Rettungskräfte attackiert worden sind, war für mich unvorstellbar, ist aber bittere Realität. Diese Verrohung spiegelt sich auch im Fußball wider. Es kann nicht sein, dass mit dem Bezahlen des Eintritts die guten Manieren am Kassenhäuschen abgegeben werden. Von den besagten 68 Fällen waren 20 gegen Unparteiische und führen mit dazu, dass die uns dann womöglich nicht mehr zur Verfügung stehen. Dabei bräuchten wir jeden einzelnen Referee. Und da kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Das Pfeifen lohnt sich. Ich habe als Schiedsrichter schon in meiner Jugend sehr viel gelernt, musste mit Kritik fertig werden und bin als Persönlichkeit gewachsen. Ohne das Pfeifen wäre ich wohl nie BFV-Präsident geworden.
Die Erhöhung der Spesen für Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter war eine Maßnahme, die Du und Dein Team im Frühjahr umgesetzt haben.
Christoph Kern:
Das ist nur ein Baustein, aber ein wichtiger, der auch lange vorbereitet war. Zum Gesamtpaket gehört auch eine intensivere Betreuung der Unparteiischen, unser Patensystem, eine fundierte Ausbildung, und, und, und. Wir müssen den Referees Wertschätzung entgegenbringen, sauber miteinander umgehen. Die Allermeisten machen das auch, aber diese überragende Mehrheit bitte ich, auch dann den Mund aufzumachen, wenn die wenigen, die sich danebenbenehmen, Grenzen überschreiten.
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Hintergründe & Fakten
Christoph Kern
Personendaten
Steckbrief C. Kern
Christoph Kern
Alter
41
Familie
verheiratet, 2 Kinder
Nation
Deutschland
Beruf
Jurist
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