"Wir haben einen Nerv getroffen": Sonderspielrecht für Frauen voller Erfolg - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 09.12.2022 um 12:00 Uhr
"Wir haben einen Nerv getroffen": Sonderspielrecht für Frauen voller Erfolg
Beim 26. Ordentlichen BFV-Verbandstag war das neu beschlossene Sonder-Spielrecht für Frauen kaum mehr als eine Randnotiz. Mittlerweile ist klar, dass da viel mehr dahintersteckt. Aktuell haben 55 Vereine aus allen sieben bayerischen Fußballbezirken für insgesamt 106 Frauen beim Bayerischen Fußball-Verband beantragt, dass diese auch am regulären Herren-Spielbetrieb 2022/23 teilnehmen können.
Von SB / PM BFV
Sabine Herdt freut sich, dass sie zusammen mit ihrer ganzen Familie auflaufen konnte.
privat / bfv
106 Frauen – das mag für den Laien erstmal eine für ganz Bayern überschaubare Zahl sein. Aber wir reden hier von einem Sonder-Spielrecht. Also normalerweise über absolute Einzelfälle. Das, was sich seit dem Sommer getan hat, ist allerdings überragend und zeigt, dass wir mit unserem Vorstoß einen Nerv getroffen haben“, sagt Sandra Hofmann, die Vorsitzende des Verbands-Frauen- und -Mädchenausschusses (VFMA), und ordnet die Zahl in den Amateurfußball-Kontext ein.

Vom Beschluss zur Premiere im Freien in weniger als drei Wochen

Die Grund-Idee hinter dem neuen Sonder-Spielrecht: Fußballbegeisterten Frauen, die keine oder keine passende Frauen-Fußballmannschaft in ihrem Umkreis haben, eine Spielmöglichkeit zu eröffnen und diese über die neue Option für den Fußballsport und die Vereine nicht zu verlieren. Hinzu kommt der positive Nebeneffekt, auch Herren-Mannschaften bei möglichem Spielermangel eine weitere Option zu geben und zu helfen, bei Engpässen den Spielbetrieb zu sichern. Es dauerte nicht lang, da lagen die ersten ausgefüllten Anträge bei Hofmann zur Genehmigung auf dem Schreibtisch – und am 17. Juli war es dann so weit: Die 28-jährige Sandra Pfannenstein und Jessica Eckl (38) liefen beim Spiel gegen den SC Altfalter II in der B-Klasse Cham/Schwandorf 2 für ihren FC OVI-Teunz II im regulären Herren-Spielbetrieb im Freien auf.

Es war die Bayern-Premiere und was den beiden damals noch gar nicht klar war: auch ein Novum in ganz Deutschland. „Ich kann es noch gar nicht fassen, bei solch einer Premiere mit dieser Tragweite dabei gewesen zu sein – es war eine wirklich tolle Sache, die mir großen Spaß gemacht hat“, so das Fazit von Jessica Eckl nach der Partie. Sandra Pfannenstein sah damals indes schon das große Ganze: „Es ist absolut bemerkenswert, dass der Bayerische Fußball-Verband diese Möglichkeit neu geschaffen hat. Das ist in der heutigen Zeit einfach nur passend. Ich kann allen nur empfehlen, es selbst einmal auszuprobieren. Auf dem Feld war es wie immer – im Umgang miteinander gab es da keine Unterschiede. So macht Fußball Spaß!“

Sandra Hofmann: "Wir haben einen Nerv getroffen."
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Das Spiel ging zwar 1:6 verloren, aber das interessierte am Ende trotz allen sportlichen Ehrgeizes die wenigsten auf dem und um den Platz. „Ich habe jetzt die Gelegenheit bekommen, mit meinen beiden Brüdern in einem Pflichtspiel aufzulaufen – und das am 65. Geburtstags meines Vaters, der zweiter Vorsitzender und Stadionsprecher ist.“ Außerdem, so sagt Jessica Eckl, sei die Personaldecke der zweiten Mannschaft etwas dünn, „so haben wir dann auch etwas helfen und zur Entspannung beitragen können“, berichtet Eckl, die das Team sogar als Mannschaftskapitänin aufs Feld führte.

Zuvor gab es tatsächlich sogar schon eine andere Pflichtspiel-Premiere. Denn bereits am 3. Juli und damit zwei Wochen vor Sandra Pfannenstein und Jessica Eckl feierte Miriam Prechtel ihr Debüt in einem Herren-Pflichtspiel. Die 27-Jährige schnürte ihre Hallen-Fußballschuhe – für den Futsal Club Regensburg. Auch ihr Debüt ging verloren – 1:2 gegen die Futsal Panthers Ingolstadt. Aber auf die positive „Perspektive“ für die Co-Trainerin der Regensburger Futsaler durch die neue Regelung hatte das Spielergebnis keinen Einfluss. Im Gegenteil. Prechtel hat noch Großes vor: bei den Herren Spielpraxis sammeln, solange es keine entsprechende Alternative für Frauen gibt und durchstarten. „Eine Futsal-Frauennationalmannschaft wäre toll“, so die Regensburgerin.

Tor-Premiere am 6. August: Chiara Matthes netzt ein

Das nächste Highlight der Sonder-Spielrecht-Erfolgsgeschichte datiert auf den 6. August. Zehn Minuten waren gespielt, als Chiara-Sophie Matthes für die (SG) VfB Burglauer II/Reichenbach III/Windheim II in der B-Klasse Rhön 2 beim Auswärtsspiel bei der (SG) ASV Sulzfeld II/SV Merkershausen II/FC Eibstadt II einnetzte und damit das erste Tor einer Frau im regulären Herren-Spielbetrieb in Bayern erzielte. Dass sie sich mit dem Treffer zum 2:0 (Endstand: 4:1) in herausragender Art und Weise in die Geschichtsbücher des bayerischen Amateurfußballs geschossen hatte, war ihr selbst nach dem Spiel nicht bewusst. „So habe ich das bisher nicht gesehen und so sehe ich das auch jetzt nicht. Ich habe auch nicht wirklich realisiert, dass da etwas Besonderes passiert ist. Es ist doch was ganz Normales, dass man Fußball spielt und auch dass man beim Fußball ein Tor schießt“, sagte die 19-Jährige, die in der Jugend schon immer regelmäßig mit Jungs zusammen Fußball gespielt hat, ganz nüchtern. Und nur einen Tag später bewies Ronja Taubmann, dass sich die Herren fortan daran gewöhnen müssen, dass Frauen gegen sie Tore erzielen und jubelnd abdrehen. Die Wasserburgerin traf für die zweite Mannschaft der Wasserburger „Löwen“ im Testspiel gegen Eggstätt zum viel umjubelten 2:2-Ausgleich.

„Das sind alles echte Erfolgs-Stories für die einzelnen Frauen, aber auch für den Frauenfußball insgesamt. Ich hätte nicht gedacht, wie viele positive Effekte dieses neue Spielrecht hat. Es ging ja wie gesagt in erster Linie um eine rein sportliche Perspektive“, sagt Sandra Hofmann. Die Vorsitzende des Verbands-Frauen- und -Mädchenausschusses spielt damit unter anderem auch auf die Geschichte von Sabine Herdt vom SV Geroldshausen in Unterfranken an.

Evi Schlagenhaufer (u.2.v.l.) vom TSV Brand traf in ihrem ersten Spiel bei den Herren vom Punkt und sorgte so für eine fränkische Premiere.
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Da ging ein Ruck durch den Verein

Die 55-Jährige und langjährige Vereinsfunktionärin hat schon viele besondere Fußball-Tage in ihrem Heimatverein erlebt. Der 6. November 2022 überstrahlt allerdings alles zuvor erlebte. „Da ist ein Traum in Erfüllung gegangen“, ringt Herdt sichtlich gerührt auch heute noch nach Worten. Es ist schon ein paar Jahre her, da trainierte sie die U9-Junioren ihres SVG. Mit dabei: ihre Söhne Daniel und Simon (heute 24 und 21 Jahre alt). Damals hat sie den Fußballtalenten gerne mal als Ansporn mit einem Augenzwinkern gesagt: „Seid froh, dass ich bei euch nicht mitspielen darf. Ich würde euch dann zeigen, was laufen und schießen heißt“. Dann kam diesen Sommer der Beschluss des BFV-Verbandstages und damit die Chance, das auf einmal genau dies möglich war.

Natürlich habe ich hin und her überlegt, ob ich das Spielrecht wirklich beantragen soll. Ich mag es nicht, wenn da auf einmal so etwas Besonderes um meine Person gemacht wird.“ Ihr Mann und ihre beiden Söhne, die mittlerweile zum Stammpersonal der ersten Herrenmannschaft gehören, wischten ihre Zweifel beiseite. Der Rest ist Geschichte, Fußballgeschichte! Sabine Herdt streifte sich das Trikot mit der Nummer sechs über, ihr Mann Volker das mit der Nummer fünf und ihre Söhne griffen sich die Vier und die Sieben aus der Trikotkiste. Mit Anpfiff der zweiten Halbzeit standen alle vier gemeinsam auf dem Platz, flankiert von drei weiteren Spielern, die Sabine Herdt von der U9 bis zur U19 unter ihren Fittichen hatte und dauerhaft mit dem Fußballvirus infizierte. „Mein Mann und ich haben bis zum Abpfiff durchgespielt, meine beiden Söhne jeweils 30 Minuten. Sie mussten ja später auch noch für die erste Mannschaft ran. Nach dem Abpfiff hatte ich Tränen in den Augen. Das waren unfassbar schöne Momente. Auch, wie alle nach dem Spiel auf mich zukamen und sich mit mir und meiner Familie freuten“, erinnert sie sich. Es war sogar so aufregend und emotional, dass alle glatt vergaßen, ein gemeinsames Erinnerungsfoto zu machen.

Sabine Herdt klatscht mit einem Gegenspieler ab.
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Der gemeinsame Auftritt hat aber auch so noch heute einen nachhaltigen Effekt. Nicht nur, dass das Bayerische Fernsehen und der regionale Radiosender von der „Geschichte“ Wind bekamen und mit ihren Berichten und Interviews für ungewohnte Popularität des kleinen klassischen Amateurvereins sorgten. Auch die landauf, landab bekannten Sorgen, ob am Spieltag genügend Spieler auf dem Platz stehen werden, sind seitdem Geschichte. „Es ist wirklich so. Seit diesem Spiel hatten wir kaum noch Probleme, immer genügend Spieler zusammenzubringen. Da ging ein echter Ruck durch den Verein. Der Zusammenhalt und das gegenseitige Interesse der Vereinsmitglieder sind nochmal größer geworden“, erzählt die 55-Jährige. Mittlerweile stand sie sogar ein weiteres Mal auf dem Platz und das dann sogar ganz im Sinne des Nebeneffekts des neuen Spielrechts: Sie half aus, um bei einem kurzfristigen Engpass die zweite Mannschaft spielfähig zu halten. Aber natürlich auch, weil sie einfach Lust auf Fußball hat! Es ist für sie schließlich der Sport für die besonderen Momente in ihrem Leben.

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Frauen-Sonder-Spielrechte

Erteilte Frauen-Sonder-Spielrechte in Bayern:

106 Spielerinnen von 55 Vereinen (Stand: 1.12.2022)

Oberbayern: 36 Spielerinnen (17 Vereine)
Niederbayern: 18 (7)
Schwaben: 19 (10)
Oberpfalz: 8 (6)
Oberfranken: 9 (6)
Mittelfranken: 9 (6)
Unterfranken: 7 (3)


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